BGH, Urteil v. 08.10.2025, IV ZR 161/24:

Leitsatz:

Die Gefahr des Verlusts bei einer Geldüberweisung geht bei einem unwahrscheinlichen Kausalverlauf (hier: Fälschung einer Kontobezeichnung durch einen unbekannten Dritten) nicht nach dem Rechtsgedanken des § 270 Abs. 3 BGB i.V.m. § 242 BGB auf den Gläubiger über.

Sachverhalt:

Auf einem postalisch versandten Rechnungsschreiben wurde durch einen Dritten die IBAN des Zahlungsempfängers geändert und durch diejenige des Dritten ersetzt. Der Zahlungsverpflichtete bemerkte die Fälschung nicht und zahlte an die gefälschte IBAN. Die Parteien streiten darüber, ob Erfüllung eingetreten ist und wer das Fälschungsrisiko auf dem Transportweg einer Rechnung trägt. Rahmen war die vom Gläubiger erhobene Zahlungsklage.

 Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht gab ihr statt. Die Revision der Beklagtenseite hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Rechtslage:

Es ist keine Erfüllung eingetreten. Die Voraussetzungen des § 362 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Gem. § 362 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Bewirkt ist die Leistung iSd. § 362 BGB erst mit dem Eintritt des Leistungserfolges. Eine Geldschuld kann anstatt durch Barzahlung auch im Wege einer Banküberweisung getilgt werden, wenn die Parteien dies vereinbart haben. Der geschuldete Leistungserfolg ist vorbehaltlich einer  – hier nicht getroffenen –  anderweitigen Vereinbarung der Parteien erst dann herbeigeführt, wenn der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers vorbehaltlos gutgeschrieben wird. Die Parteien können auch vereinbaren, dass die geschuldete Leistung mit befreiender Wirkung auf das Konto eines Dritten zu überweisen ist. Vorliegend ist Erfüllung weder nach § 362 Abs. 1 BGB noch nach § 362 Abs. 2 iVm. § 185 BGB eingetreten. Denn durch die Überweisung an das Konto des Dritten wurde die Leistung weder unmittelbar an den Gläubiger bewirkt noch hat der Zahlende mit befreiender Wirkung an den Inhaber dieses Kontos geleistet. Ist Erfüllung mithin nicht eingetreten, ist der Schuldner auch nach den allgemeinen Gefahrtragungsregeln weiterhin zur Leistung an den Gläubiger verpflichtet, denn der Schuldner trägt die Verlustgefahr.

Gem. § 270 Abs. 1 BGB hat der Schuldner Geld im Zweifel auf seine Gefahr dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln. Damit obliegt dem Schuldner bei Geldleistungen bis zur Erfüllung grundsätzlich das Verlustrisiko. Dies ist nicht anders zu bewerten, wenn im Wege der Überweisung erfüllt wird. Auch die Vorschrift des § 270 Abs. 3 BGB, wonach der Gläubiger die Gefahr zu tragen hat, wenn sich infolge einer nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Änderung des Wohnsitzes oder der gewerblichen Niederlassung des Gläubigers die Gefahr der Übermittlung erhöht, führt hier zu keiner abweichenden Verteilung der Verlustgefahr. Dies folgt auch nicht aus dem dieser Vorschrift zugrundeliegenden Rechtsgedanken.

Die Berücksichtigung sämtlicher äquivalent kausaler Verhaltensweisen des Gläubigers bei der Beantwortung der Frage, ob der Gläubiger einen gefahrerhöhenden Umstand geschaffen hat, hätte zur Folge, dass auch gänzlich fernliegende Ursachen zu einem Gefahrübergang führen würden. Die Auferlegung des hiermit einhergehenden Rechtsnachteils auf den Gläubiger ist in Anlehnung an die im Schadensersatzrecht geltenden Grundsätze zur Zurechnung von Schadensfolgen aber dann nicht gerechtfertigt, wenn die durch das Verhalten des Gläubigers geschaffene Gefahrerhöhung auf einem gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverlauf beruht. Denn wie im Schadensersatzrecht dem Schädiger können derartige Kausalverläufe im Anwendungsbereich der Gefahrtragungsregeln dem Gläubiger billigerweise rechtlich nicht mehr zugeordnet werden. Das Ereignis muss demnach im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sein, einen Erfolg der eingetretenen Art  – hier die Fälschung der Rechnung –  herbeizuführen.

Danach wäre die Fälschung nicht der Sphäre des Gläubigers zuzurechnen. Denn es entspricht nicht dem gewöhnlichen, sondern stellt vielmehr einen unwahrscheinlichen Kausalverlauf dar, dass nach Übergabe einer verschlossenen Postsendung an ein Postbeförderungsunternehmen diese unter Verletzung des Briefgeheimnisses geöffnet und ihr Inhalt im Wege der Urkundenfälschung in betrügerischer Absicht verändert wird. Dies folgt bereits aus der Lebenserfahrung, aber auch aus dem Umstand, dass Anbieter von Postdienstleistungen eine für diese Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit und darüber hinaus auch Leistungsfähigkeit oder Fachkunde besitzen müssen. Zwar verhindert auch die Überprüfung dieser Kriterien durch die Bundesnetzagentur nicht mit letzter Sicherheit die Begehung von Straftaten durch Beschäftigte eines Postbeförderungsunternehmens oder unternehmensfremde Dritte anlässlich der Postbeförderung. Sie gewährleistet aber ein allgemein hohes Niveau an Zuverlässigkeit bei der Beförderung von Postsendungen, dass Eingriffe der vorliegenden Art eher unwahrscheinlich macht.

Ob von der gleichen Zuverlässigkeit beim Versand von PDF-Rechnungen via E-Mail für die E-Mail-Provider gilt, hat der BGH nicht entschieden.

Dr. Stephan Heinze, LL.M.oec.
Rechtsanwalt